Therese Jikeli
Konflikten zwischen russischstämmigen und ukrainischen Jugendlichen in Schule begegnen
Lehrer*innen berichten von Konflikten in Klassenzimmern, die zwischen Jugendlichen rund um die Thematisierung des Kriegs in der Ukraine aufkommen. Gerne möchte ich mich zu folgenden Fragen mit euch austauschen:
- Welche Erfahrungen habt ihr bereits gemacht? Welcher Art von Konflikten erwarten wir?
- Wie können wir mit möglichen Konflikten zwischen ukrainischen Geflüchteten und russischstämmigen Jugendlichen an Schulen umgehen? Was sind wichtige zu beachtende Aspekte?
- Wie kann eine Aufnahme der geflüchteten Jugendlichen in der Schulgemeinde gelingen? und
- Wie könnten Veranstaltungen aussehen, die pädagogische Fachkräfte auf Konflikte vorbereiten?
Ich bin abgeordnete Lehrerin und arbeite am Schulpsychologischen Dienst in Leverkusen (NRW). Mein Stelle nennt sich „Systemberatung Extremismusprävention“ und ich beschäftige mich mit Möglichkeiten der Demokratieförderung in Schule im Sinne einer Gewalt- und Radikalisierungsprävention. Von Lehrkräften wurde oben stehende Problematik an mich herangetragen. Gerne möchten wir ein Angebot für Lehrkräfte entwickeln, sie diesbezüglich zu begleiten. Dabei möchten wir gerne eure Erfahrungen und Ideen hören, um diese in ein gewinnbringendes Angebot einfließen zu lassen. Wir freuen uns auf einen Austausch!
Protokoll
💬 Sessiontitel: Konflikten zwischen russischstämmigen und ukrainischen Jugendlichen in Schule begegnen
Sessiongeber:innen sind Antje Lena Fricke und Therese Jikeli
Kurzer Impuls: Die Idee, sich zu dem Thema auszutauschen, entspringt ersten Erfahrungen, dass in Schulen diese Konflikte aufgetreten sind. Es besteht der Wunsch, ein Konzept zu entwickeln oder Ideen und Ansätze zu sammeln, die Lehrkräften im Umgang damit helfen.
🕯Impulse/Probleme/Erfahrungen🔦
Welche Erfahrungen habt ihr bereits gemacht? Welcher Art von Konflikten erwarten wir?1. Jugendliche mit russischen Wurzeln halten sich im Unterricht oft zurück und beobachten, wie andere über den Krieg sprechen. Wichtig wäre ein sicherer Raum, damit sie über den Konflikt sprechen können. Eine Schwierigkeit ist auch, dass Jugendliche ggf. zu Hause und in der Schule unterschiedliche Standpunkte hören und versuchen sich dazwischen zu positionieren.2. SuS, die in Diskussionen die Haltung Putins vertreten, Fake-News/Desinfomation/Propaganda – wie entgegenwirken?3. Auf den Beutelsbacher Konsens zu achten, ist hier wichtig. (Am besten auch transparent mit Klassen diskutieren.)4. Perspektive einer Schülerin: An ihrer Schule wird der Krieg tabuisiert. Lehrer:innen sprechen das Thema nicht an. Vermutung: aus Angst etwas falsch zu machen5. Einige russischstämmige Schüler:innen (bzw. Russisch sprechende Menschen) erfahren Diskriminierungen (auch im Alltag, in Restaurants, beim Einkaufen).6. Es wird von jungen Menschen (mit russischen Wurzeln) erwartet, dass sie sich positionieren.7. Ein Beitrag aus dem Chat: Hauptproblem: Vernetzung in russ. Sprache => „Parallelgesellschaft“ mit anderer Ethik („Gehorsam“). Man kann hören, dass Put… = „Weg“, dass der Diktator daher eine höhere Sendung habe … Nahezu aussichtslos. Schüler kommen nach erfolgreichen Bombardements kasojok-tanzend in Klassenzimmer. Verbrüderung zwischen russisch- und serbisch-stämmigen SuS beobachtbar. Räumliche Trennung der Parteien scheint die empfehlenswerteste Antwort.8. Ein Beitrag: Es gibt auch in D (z.B. in Berlin) russiche Schulen, in denen die Staatspolitik aus Russland 1:1 weiter kommunziert wird und ukrainsche Schüler:innen „angegangen“ werden9. provozierende Haltung (Erdkunde, Ansicht einer Karte der Krim)10. positive Erfahrung mit SuS, die ihre Russischkenntnisse einbringen möchten11. Kriegserfahrungen aus anderen Ländern werden aktiviert; Ohnmachtsgefühl von Jugendlichen mit Kriegs-/ und Fluchterfahrungen aus anderen Ländern12. Geflüchtete zweiter Klasse (Status, Bildungszugänge, Geflüchtete werden teilweise in andere Unterkünfte verlegt, um Platz für ukrainische Geflüchtete zu machen)
🤔 Wesentliche Fragen
- Wie können wir mit möglichen Konflikten zwischen ukrainischen Geflüchteten und russischstämmigen Jugendlichen an Schulen umgehen? Was sind wichtige zu beachtende Aspekte?
Eine Schwierigkeit kann sein: Lehrer:innen trauen sich nicht, den Krieg im Unterricht zu thematisieren aus Angstm etwas falsch zu machen.
- Wie kann eine Aufnahme der geflüchteten Jugendlichen in der Schulgemeinde gelingen? und
- Wie könnten Veranstaltungen aussehen, die pädagogische Fachkräfte auf Konflikte vorbereiten?
💡Ideen/Ansätze
- Dieses Video bot eine gute Grundlage für eine Debatte (10er-Kurs, Ethik) im Unterricht: https://twitter.com/DejanFreiburg/status/1504484215244550154?s=20&t=2_Ohy1wMbLKEoRbmkjbDXw
- Die grundlegende Frage: Was verbindet uns? (Und nicht: Was trennt uns?) Nicht vom Krieg, sondern vom Frieden her ins Gespräch einsteigen: Frieden verbindet uns, wir alle wollen Frieden – Krieg ist sehr komplex, die SuS bringen alle eigene Erfahrungen mit
- Verbindene Elemente: Begegnungen ermöglichen, zusammen kochen, zusammen essen
- Gemeinsame Erlebnisse, Aktionen: Durch positive Erlebnisse lernt man den anderen lockerer und entspannter kennen
- Vielfalt der russischen Sprache thematisieren: wo wird überall Russisch gesprochen?
- Perspektive Opposition in Russland; auch Menschen aus Russland fliehen vor politischer Verfolgung
- Die Menschen kennenlernen und ihr persönliche Perspektive in den Fokus rücken (und nicht den Konflikt), damit ein Verständnis entstehen kann, dass es sich auch um ihre individuelle Geschichte handelt: Wie geht es dir (dabei)? Erfordert viel Vertrauen.
- Ukrainisches Café in der Schule, wo geflüchtete Kinder sich regelmäßg treffen; safe place für die Geflüchteten, einfachen Austausch ermöglichen, ohne die (Deutsch)Lernumgebung
- Alle wolllen („richtig“) „gesehen werden“
- eine AG an Schulen einrichten (oder bereits bestehende AGen wie Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage ansprechen), in der gemeinsam nach Ansätzen gesucht wird
- Vorschlag einer Schülerin: gemeinsame Sport- und Musikangebote (das verbindet, auch ohne Sprachbarrieren)
- Sensibel sein und nachfragen, wenn neue Schüler:innen (Geflüchtete) kommen, welche Sprache sie sprechen (möchten). Manche lehnen es z.B. ab, Russisch zu sprechen. Russisch aber auch als Minderheitensprache in der Ukraine
- Angebote im Bereich Medienkompetenz (Desinformationen)
- bestehende Strukturen nutzen (Streitschlichtung, SoR-AG, …), bevor neue Strukturen geschaffen werden
- Streitschlichter*innen fortbilden
- Patenssystem; Peereducation;
- Schüler*innen bei der Vorbereitung für eine Veranstaltung für Lehrkräfte integrieren?
- Wording: Kein Krieg der Russen; russische Armee vs. die Russen…
- Safe places; z.B. 5./6. Stunde zum gemeinsamen Essen in der Mensa
- Frage nach Trennung und Integration: Welche Angebote sollten spezifisch für Gruppen sein (Geflüchtete, Jugendliche mit Russlandbezug…); welche für alle?
🚩 Ziele – Visionen 🔭
- Einen Raum zu schaffen, in denen ein (Grund-)Vertrauen herrscht, sich öffnen und über die eigene Situation berichten zu können
💻 Links – Literaturhinweise 📚
- Friedrich Glasl: Selbsthilfe in Konflikten. Konzepte. Übungen. Praktische Methoden
- 10 Minuten Video von Glasl: Im Gespräch mit Friedrich Glasl (Full Version) – YouTube https://youtu.be/Dq8jSZzHD_A
- Padlet von der AJS zu den Herausforderungen des Krieges in der Kinder- und Jugendarbeit: https://padlet.com/AJS_NRW/Krisengespraeche_Ukraine_Krieg
- Online-Panel zur Friedenspädagogik am 30.03.2022 u.a. mit Marina Weisband: https://campus.deutscher-schulpreis.de/
- Interessanter Artikel dazu: https://deutsches-schulportal.de/schulkultur/wo-russische-und-ukrainische-kinder-gemeinsam-lernen/
- Unterrichtsmaterialien: https://padlet.com/claudia_mair/62j8hmn1rqftjk9x